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112 und 110 - Notruf auch für Hör- und Sprachgeschädigte

Gehörlos? Schwerhörig? Taubblind? Sprachgeschädigt?

Was sind "gehörlose und schwerhörige Menschen?" Gehörlose und schwerhörige Menschen sind im Prinzip „hörgeschädigte Menschen“. Die Problematik beim Notruf ist für beide Gruppen zunächst einmal so gut wie identisch. Sie hören akustisch nicht, was die Gegenseite sagt. Sprachgeschädigte Menschen hören zwar, können sich aber nicht oder nur schwer artikulieren. Bei den taubblinden Menschen kommt nach meiner Einschätzung dann noch hinzu, dass sie die Tastatur eines Telefons/Smartphones nicht eindeutig erkennen können und zusätzlich nicht verstehen, was die Gegenseite spricht. Zudem dürfte sich die Bedienung eines Smartphones für taubblinde Menschen als kompliziert darstellen.

Frage 1:

Welche grundsätzlichen Notfalllösungen könnten Sie sich für „gehörlose Endnutzer“ einerseits und „Endnutzer mit einer Hör- und Sprachbehinderung“ andererseits vorstellen? Ich würde in beiden Fällen entweder an eine textbasierte Lösung (App oder das klassische Fax) oder an eine videobasierte Lösung mit Gebärdendolmetscher denken. Würden Sie aus Ihrer Sicht - bezogen auf eine Notfalllösung - zwischen „gehörlos“ und „Hör- und Sprachbehinderung“ differenzieren wollen?

Die Notfall-Telefax-Vorlage gibt es aktuell in 14 europäischen Sprachen. Man sagt zwar, diese sei nicht mehr zeitgemäß, da man das Notfall-Telefax ja nur stationär einsetzen kann. Und vor dem Hintergrund der heute gängigen technischen und digitalen Kommunikationsmöglichkeiten muss man dem wohl auch zustimmen. Aber trotzdem bleibt es, zumindest in Deutschland und nach Aussage vieler Leitstellen von Polizei und Feuerwehr, im Moment noch das sicherste Notrufmedium für hör- und sprachgeschädigte Menschen. Nach meiner Kenntnis wurde es auch in Luxemburg eingeführt. Ob es diese Möglichkeit aktuell auch in anderen europäischen Ländern gibt, ist mir nicht bekannt.

Aus meiner Sicht sollte für den angesprochenen Personenkreis eine Notrufmöglichkeit angestrebt werden, die sowohl eine textbasierte, als auch eine videobasierte Lösung anbietet. In Form einer Notruf-App etwa. Gute Beispiele dafür, wie eine solche App aussehen könnte, sind aus meiner Sicht die Notruf-Apps der Technischen Hochschule Brandenburg, der Fa. Lazarus Networks oder TESS. Wie und in welcher Form sich die Notruf-App des BMWi darstellt, ist mir nicht bekannt, da ich selbst auf wiederholte Rückfragen keine Antwort vom Ministerium dazu bekomme.

Eine Differenzierung zwischen „Gehörlos“ und „Schwerhörig“ wäre wohl nur dann angebracht, wenn die Notruf-App nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse „gehörloser und schwerhöriger Menschen“ in sich zu vereinigen. Der Begriff „Hörbehinderung“ beinhaltet nach meinem Verständnis, wie weiter oben schon angedeutet, sowohl gehörlose, wie auch schwerhörige und ertaubte Menschen.

Sprachbehinderung ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Störungen in den Bereichen:

·        Spracherwerb (Sprachentwicklungsverzögerung)

·        Fähigkeit, sprachliche Strukturen für die Kommunikation zu verwenden (Aphasie und Mutismus)

·        Stimme

·        Sprechen (Sprechstörung)

·        Redefluss (Stottern, Poltern, Stammeln)

Im pädagogischen Bereich wird Sprachbehinderung als Bedarf an sonderpaedagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Sprache verstanden. Sprachbehinderte sind Menschen, die beeinträchtigt sind, ihre Muttersprache in Laut und/oder Schrift altersgerecht zu gebrauchen und dadurch in ihrer Persönlichkeits- und Sozialentwicklung sowie der Ausformung und Ausnutzung ihrer Lern- und Leistungsfähigkeit behindert werden.

Für den Fall eines Notfalls würde sich hier vermutlich die Notfall-Telefax-Vorlage, bzw. eine Notruf-App am besten eignen.

 

Frage 2:   

Wie sehen Sie den besonderen Fall „taubblind“? Käme da ein „besonderes    Endgerät“ in Frage (Notrufknopf o.ä.)?

Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen:

·        blind geboren und ertaubt vor Spracherwerb,

·        blind geboren und ertaubt nach Spracherwerb,

·        taubblind geboren,

·        taub geboren und erblindet im Kindesalter,

·        taub geboren und erblindet in hohem Alter,

·        weder taub noch blind geboren; später ertaubt und erblindet (entweder gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten).

Es ist leicht vorstellbar, dass in den ersten drei Situationen blindenspezifische Hilfsmittel eine größere Rolle spielen, in den beiden dann genannten Situationen eine Zugehörigkeit zur Gehörlosenkulturgemeinschaft möglich ist, in letzt-genannter Situation ein davon völlig unterschiedliches (erheblich hilfebedürftiges) Leben geführt wird.

Nach Aussage des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist die Bedienung eines Smartphones für taubblinde Menschen eher kompliziert, weil ggf. mit dem Smartphone erst einmal eine Braillezeile via Bluetooth verbunden werden muss und das in Notfällen vielleicht gar nicht möglich ist. Von daher würde sich ein mit dem Smartphone verbundener Notrufknopf anbieten, der nur wenige Funktionen bietet.